Pressespiegel
DIE TONKUNST | Dienstag, 01.01.2019
Hannover, 3.–4. September 2018
[von Lea Kollath]
Da eine umfassende, interdisziplinäre Untersuchung des Phänomens Widmung bisher nicht erfolgt ist, setzte die von Wolfgang Sandberger (Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck) und Christiane Wiesenfeldt (Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena) initiierte Tagung in Schloss Herrenhausen ein wichtiges Zeichen. Die Bedeutung des Sujets wird offensichtlich, wenn die Widmung nicht nur als privater Akt des Schenkens oder Tauschens, sondern beispielsweise im Kontext künstlerischer Netzwerke, als politisches Bekenntnis oder aber als Schlüssel zum Werk aufgefasst wird. Sie bietet damit zahlreiche Anknüpfungspunkte und vermag es, innovative Perspektiven auf Künstler, Widmungsempfänger und Werk zu eröffnen. Anorthe Wetzel, die als Vertreterin der das Projekt fördernden Volkswagen Stiftung für eine ausgezeichnete Organisation und ein angenehmes Ambiente sorgte, eröffnete den ersten Tag mit einem Grußwort, woraufhin eine wissenschaftliche Einführung durch Wolfgang Sandberger und Christiane Wiesenfeldt erfolgte. Bereits hier wurde auf Andrea Hammesʼ 2015 am Brahms-Institut in Lübeck erschienene Dissertation Brahms gewidmet. Ein Beitrag zu Systematik und Funktion der Widmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwiesen, die auch den späteren Beiträgen immer wieder als Bezugspunkt diente. Ebenso wurde das seit 2015 am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena angesiedelte DFG-Forschungsprojekt zu den Widmungen an Mendelssohn, das unter der Leitung von Christiane Wiesenfeldt von Maximilian Rosenthal bearbeitet wird, als aktueller Impulsgeber der Tagung gewürdigt.
Die Vortragenden der ersten der insgesamt sechs Sektionen nahmen zunächst die Widmung als soziales Handeln in den Blick. Wolfgang Bunzel (Frankfurt am Main) stellte die unterschiedlichen Strategien dar, die Bettine von Arnim mit ihren Widmungen verfolgte. Sie entpuppen sich mal als Bekenntnis zu einer Figur mit zweifelhaftem Ruf (»Dem Fürsten Pückler«), dann als politisches Aufbruchssignal (»Den Studenten«) oder auch als eine Solidaritätsbekundung (»Dedié à Spontini«). Emily H. Green aus Virginia (USA) legte im Anschluss ihr Augenmerk auf musikalische Widmungen im Zusammenhang mit der Konstruktion des romantischen Autors. Ein Beitrag aus der Soziologie erfolgte durch Christian Stegbauer (Frankfurt am Main). Nach der Gabentheorie von Marcel Maus lauten die drei Verpflichtungen innerhalb des Schenk-Prozesses: geben, nehmen, erwidern. Die Widmung als Gabe findet daher häufig innerhalb der künstlerischen Netzwerke Erwiderungen. Die Auswahl des Widmungsträgers kann außerdem einen positiven Effekt auf die Rezeption des Werks haben. In der zweiten Sektion war der Fokus auf Widmungen in bürgerlicher Kultur sowie medialer Öffentlichkeit gerichtet. Die Buchwissenschaftlerin Ursula Rautenberg (Erlangen) stellte exemplarisch die Widmungen von Freunden an den Freiherr von Laßberg in einer Ausgabe der Melusine vor. Im Anschluss ging Peter Schmitz (Münster) unter Einbezug zahlreicher Beispiele auf die Bedeutung der Widmungen im musikalischen Verlagswesen ein.
In der Sektion »Widmungen in den kulturellen Kreisen und Strömungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts« nahm Christopher Klatt (Weimar-Jena) Widmungen als patriotische Bekenntnisakte im Deutschen Kaiserreich in den Blick. Die Fortsetzung des Themenblocks erfolgte am zweiten Tag mit Christoph Flamm (Lübeck). Er präsentierte ein Tableau der Widmungen in der russischen Musik des 19. und 20. Jahrhunderts und legte einen besonderen Schwerpunkt auf den Komplex der Gedenkwerke und Memorial-Widmungen (u. a. Borodin, Čajkovskij). Die romantisch-literarische Widmungspraxis war im Anschluss das Thema des anschaulichen Beitrags von Frieder von Ammon (Leipzig). Er plädierte dafür, Widmungen auch als ästhetische Gebilde ernst zu nehmen, indem er raffinierte Beispiele anführte (Hölderlin, Novalis, Achim von Arnim, Brentano). Die erste Generation der Romantiker sei für eine Neubewertung der künstlerischen Widmung verantwortlich, nachdem diese sich von der Bindung an Mäzenatentum und Prestige weitgehend befreit hatte.
Die vierte und letzte Sektion widmete sich Fallbeispielen zum Komplex »Text, Paratextualität, Intertextualität«. Nach Genette ist die Widmung schließlich Teil des Paratextes, welcher über das Textuelle hinausweist, wie Andrea Hammes (Dresden) in ihrem Beitrag erläuterte. Sie begriff die Widmung als hermeneutischen Schlüssel zum Werk und führte Beispiele von Brahms, Schumann, Ries und Berg an. Ein Exkurs in die Kunstgeschichte, in der dem Thema bisher noch weniger Aufmerksamkeit zukam als in der Musik- oder Literaturwissenschaft, erfolgte durch Michael Thimann (Göttingen). Nach einer kurzen historischen Rückblende konzentrierte er sich auf gewidmete Zeichnungen in der deutschen Romantik. Zentral waren in seinem Vortrag Bildwerke von Friedrich Overbeck, die als doppelbödige Botschaften an die Eltern des Malers aufzufassen sind. Sarah Hodgson (Lübeck) befasste sich im Anschluss mit den Dedikationen an den Bariton Julius Stockhausen. Durch seinen Ruf als ausgezeichneter Schubert-Sänger war er vor allem ein prominenter Werbeträger für die ihm gewidmeten Werke. Der Fokus des Vortrags des Literaturwissenschaftlers Burkhard Moennighoff (Hildesheim) war auf Widmungen gerichtet, die Rätseln gleichen. Die Essay-Sammlung Die chinesische Mauer von Karl Kraus ist so beispielsweise mit einem Shakespeare-Zitat als Widmung (»Für sie, die ohne Wahl und Hoffnung liebt…«) versehen, welches den Namen der Empfängerin im Verborgenen lässt. Erst der Kontext verrät, dass es sich um die verstorbene Schauspielerin Anni Kalmer handeln muss. Maximilian Rosenthal (Weimar-Jena) befasste sich im Anschluss mit Frauenwidmungen an Felix Mendelssohn Bartholdy. Zur Gattung konnte er feststellen, dass es sich bei den entsprechenden, heute eher unbekannten Werken der Komponistinnen (u. a. Josephine Lang, Anna Bochkoltz) vorwiegend um Klavierlieder handelt. Beschlossen wurde die Tagung durch Hans-Joachim Hinrichsen (Zürich). Er nahm die 22 Dedikationen von Beethoven an seinen Gönner und einzigen Kompositionsschüler, den Erzherzog Rudolph, in den Blick.
Mehrere Vorträge und vor allem die anschließenden Diskussionen verlangten nach klar umrissenen Grenzen des Begriffs Widmung. Welche Fallbeispiele können als Dedikationen aufgefasst werden, und welche haben eher den Charakter einer Hommage? Der Wunsch nach diesbezüglicher Klarheit sowie die Idee, noch weitere Fachbereiche (Historik, Philosophie, Rechtswissenschaft usw.) mit einzubeziehen, motivierten die Beteiligten dazu, es nicht bei dieser einen Tagung zu belassen, sondern einen weiterführenden Diskurs mit zusätzlichen Themenkomplexen anzustreben. Außerdem plädierten die Initiatoren und einige Redner dafür, keinen konventionellen Sammelband zu publizieren, sondern der Öffentlichkeit durch ein Handbuch-ähnliches Format einen umfassenderen Zugang zu gewähren. Diese hohe Motivation zeugt sowohl von der anregenden Wirkung der breitgefächerten Vorträge und intensiven Plenumsgespräche, als auch von der Brisanz des von der Forschung in allen Fachbereichen bisher zu wenig bearbeiteten Themas.