Pressespiegel

Lübecker Nachrichten | Samstag, 18.11.2017

Einblicke in die Komponistenwerkstatt
Dem Leben und Werk des Künstlers Johannes Brahms (1833–1897) widmet sich in Lübeck ein eigenes Institut der Musikhochschule. Was wird dort gemacht?

[von Michael Hollinde]

Fabian Bergener hat vor mittlerweile sieben Jahren über »Die Ouvertüren Robert Schumanns« promoviert. Seit Juni 2016 ist der wissenschaftliche Institutsmitarbeiter nun in einem Forschungsprojektmit der „Erschließung des Teilnachlasses von Joseph Joachim« befasst. »Er galt als einer der bedeutendsten Violinisten seiner Zeit und war mit Brahms sehr gut befreundet«, erläutert der Musikwissenschaftler den thematischen Bezug. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Brief, verfasst in der damals üblichen Sütterlinschrift. »Ich bin dabei, die Schriftstücke – darunter allein 900 Briefe aus dem Zeitraum 1847 bis 1907 – bibliothekarisch aufzuarbeiten, damit sie digitalisiert und auf unsere Homepage gestellt werden können«, berichtet er. Momentan bekommt der Forscher durch seine Tätigkeit nähere Einblicke in die Korrespondenz der Joachim-Brüder. »Joseph Joachim war im intensiven Austausch mit seinem Bruder Heinrich, der in London gelebt hat«, erzählt Bergener, »durch die Lektüre der Briefe taucht man in die musikalische und private Lebenswelt ab.«

Sarah Hodgson hat den Sänger Julius Stockhausen im Fokus. »Viele denken bei dem Namen Stockhausen aber gleich an den Komponisten Karlheinz Stockhausen«, weiß die Doktorandin. »Ihr“ Stockhausen hingegen war mit Johannes Brahms eng befreundet und setzte sich als einer der ersten für dessen Lieder ein. »Ich versuche anhand der persönlichen Notenbibliothek, seine Gesangs-Persönlichkeit zu erschließen«, so die 31Jährige. »Er hat viel in die Noten reingeschrieben, zum Beispiel, in welcher Tonart er gesungen hat; zudem hat er auch Texte sowie die vorgesehene Strophen-Reihenfolge verändert«, beschreibt sie ihre Detektivarbeit. Insgesamt stünden für ihre Recherche einige hunderte Dokumente bereit. »Nur Tonaufnahmen existieren leider nichtmehr«, bedauert sie.

Birgitt Rehbock organisiert als Assistentin des Institutsleiters insbesondere die Veranstaltungen. »Wir haben jeden Monat ein bis zwei im Angebot«, sagt sie. Und die dargebotene Musik drehe sich natürlich nicht nur um Brahms, versichert sie. Mit dem Talk-Format »Zu Gast bei Brahms« habe man Neuland betreten, »aber dies sehr erfolgreich«. Wer auch das angeschlossene Museum unteranderem mit Brahms-Autographen, Fo-tografien und Hörsäulen mit Musikbeispielen besuchen möchte, hat dazu immer mittwochs und sonnabends von 14–18 Uhr Gelegenheit.

Wolfgang Sandberger ist Professor für Musikwissenschaft. »Die eigenhändigen Niederschriften, die Autographen, sind für uns besonders wertvoll, ermöglichen sie doch einen Einblick in den Schaffensprozess des Künstlers«, erklärt der 56-jährige Experte, der seit 1999 das Institut am Jerusalemsberg leitet. Denn eigentlich wollte „Perfektionist“ Brahms der Nachwelt jeweils nur das gedruckte Werk hinterlassen und jegliche Vorfassungen seiner Werke vernichtet wissen. »Dieses Klavierquartett Opus 26 zum Beispiel liegt uns als kostbarer Autograph vor, und zusammen mit den Studierenden haben wir da-von zwei Varianten erarbeitet«, erläutert Sandberger – die Frühfassung vor der Uraufführung 1862 und die konzertante Endfassung, die damals erst während der Proben entstanden ist. »Dass so ein großer Komponist wie Brahms im Dialog mit den Musikern sein Werk noch verändert hat, finde ich sehr faszinierend«, resümiert der Professor

Musikbibliothekar Stefan Weymar hält eine Partitur in den Händen. »Das ist das g-moll Klavierquartett Opus 25 von Johannes Brahms aus dem Nachlass des Pianisten Theodor Kirchner«, beschreibt er den wertvollen Erstdruck aus dem Jahr 1861. Das sei ein »veritabler Plattendruck aus der Zeit, mit Eintragungen am Rand von Zeitgenossen«, freut sich der studierte Musiker mit musikbibliothekarischer Zusatzausbildung. Er ist für die Fachsammlung zum Leben und Werk von Johannes Brahms – »„aber auch zu seinem Umfeld«, wie er ergänzt – verantwortlich. »Ziel ist es, alle Brahms-Literatur, die je veröffentlicht worden ist, hier zu vereinigen«, sagt der Museumskurator. »85 Prozent haben wir wohl mittlerweile, und zwei Drittel sind schon digitalisiert«, bilanziert er.

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